8. Oktober 2018

Eltern zwischen Helikopteritis und Kontrollverlust

Am Wochenende waren wir in einem Vogelpark. Bei den Kakadus streckte ein Neunjähriger plötzlich seine Finger durchs Gitter, um ein zutraulich wirkendes Tier zu streicheln. Das allerdings schnappte zu. Zum Glück ist dem Jungen nicht viel passiert, zwischen seinen Eltern aber ging eine viel gehörte Diskussion los. Er: „Ich hab ihm doch gesagt, er soll von den Gittern wegbleiben.“ Sie: „Lass ihn doch. Manche Erfahrungen muss er eben selbst machen.“ Herrjeh!

Momente wie diesen hält der Alltag für Eltern hundertfach bereit: Darf die Dreijährige auf der hohen Mauer balancieren/auf dem Spielplatz alleine mit der Seilbahn fahren/aufs Fensterbrett steigen? Darf der Große mit seinen Freunden mit dem Fahrrad durchs Viertel düsen/alleine zum Judo und zurück/ins Waldstück hinterm Haus? Manche Eltern sehen überall Gefahren und pfeifen ihre Kinder stets zurück. Andere erlauben alles, ohne sich groß Gedanken zu machen.

Interessant fand ich in diesem Zusammenhang den Artikel „Die Angst der Eltern vor dem Kontrollverlust“ aus dem Elternblog Schlaflos der FAZ. Er geht genau dieser der Frage nach, wie Eltern im Jahr 2018 das Verhältnis von Freiheit und Kontrolle ihrer Kinder austarieren. Viele Eltern, so steht dort, hielten ihre Kinder permanent an der kurzen Leine. „Mit der Folge, dass dem Nachwuchs zu wenig Raum für eigenverantwortliches und eigenständiges Ausprobieren bleibt, ja ihnen sogar das Recht genommen wird, sich, im übertragenen Sinne, eine blutige Nase zu holen.“ Und – besonders spannend: „Wer die Chance gar nicht erst bekommt, aus eigenen Fehlern Schlussfolgerungen zu ziehen, wird möglicherweise später selbstgemachte Fehler seiner Umgebung zuschieben. Erst den Eltern. Den Großeltern. Später der Frau, dem Mann, den eigenen Kindern. Oder sogar reichlich diffus und ganz allgemein der Gesellschaft, ein Sündenbock für die selbst begangenen Fehler muss dann her.“

Auch die Frage, wo die Angst heutiger Eltern vor dem Kontrollverlust und der Katastrophe herkommt, beleuchtet der Artikel klug. Autor Martin Benninghoff nennt zum einen die Beinahe-Echtzeitberichterstattung der Medien: „Das Unsicherheitsgefühl steigt auch deshalb, weil jede Krise, und sei sie im hintersten Hindukusch, mittlerweile viel stärker globalisiert ist und dadurch in unsere Gefilde schwappt.“ Andererseits beobachtet er ein steigendes Überengagement der Eltern: „Der Leistungsgedanke und der übersteigerte Wunsch nach einer makellosen Performance im Alltag – im Supermarkt, auf dem Spielplatz, gegenüber Freunden – kann ebenfalls zu einem übertriebenen Kontrollwahn führen.“ Darin erkennen sich sicher viele Eltern wieder.

Und das Erfolgskonzept? Freiräume schaffen, die Zügel bewusst lockerer halten und sich von der Angstmacherei und dem Perfektionismus anderer nicht anstecken lassen – so Martin Benninghoff. Wir finden, das klingt nach einem verdammt guten Plan!