25. März 2022
80 Millionen „Klugscheißer“?
Wir Deutschen sind ja bekanntermaßen gerne mal ein Volk von Experten. Zu WM- oder EM-Zeiten wissen 80 Millionen Fußballbundestrainer, mit welcher Mannschaftsaufstellung das Runde am besten ins Eckige kommt. Im Zeitalter von Covid-19 verfügen 80 Millionen Virologen über profundes Sachwissen zu epidemischen Notlagen. Und seit der russische Präsident Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine mit Krieg überzogen hat, ist zu beobachten, dass 80 Millionen Ukraine-Russland-Experten – vorrangig in den sozialen Medien – damit befasst sind, Schuld zuzusprechen, Vorwürfe in den Raum zu stellen und im schlimmsten Fall weiteren Hass zu schüren.
Dieses Phänomen greift Sybille Berg in ihrem Beitrag „Und alles führt zu nichts“ auf. Die Autorin sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung zwar als wesentliches Merkmal einer Demokratie an. Ihrer Ansicht nach werden komplexe Sachverhalte jedoch häufig runtergebrochen auf ein schlichtes Gut und Böse. Aus Meinungsvielfalt seien inzwischen eher „Meinungsfronten“ erwachsen. Und so erwächst so manch vielleicht gutgemeinter Post in den sozialen Medien zu einem Brandherd für Unruhe oder gar Hass. Dass damit niemandem geholfen ist, schon gar nicht den Menschen, die unter den vielfältigen Folgen des grausamen Krieges zu leiden haben, sollte allen klar sein. Wie Sybille Berg ihre Kolumne ganz richtig betitelt: Es „führt zu nichts“.
Was hingegen sehr wohl zu etwas führt, läuft jenseits des „lauten Geschreis“ in den sozialen Medien ab, im Stillen. Es ist das Engagement der Menschen, die sich mit konkreten Taten einbringen – bei der Versorgung oder der Unterbringung Geflüchteter unterstützen oder in anderer Weise gegen das entsetzliche Leid und die Trauer an arbeiten, die dieser Krieg mit sich bringt. Sybille Berg lenkt unseren Blick auf diese Menschen und zeigt damit, was besser als jedes „klugscheißen“ dazu beiträgt, für Zusammenhalt – und damit auch ein wenig Frieden – zu sorgen.